Der Ripper und sein Theorem


london

                       Jenseits der Themse(*)


Unter merkwürdigeren Umständen ist wohl noch nie eine mathematische Disputation abgehalten worden. 24 fleißige Hände kippten die Tafel und lehnten sie gegen die hintere Grottenwand. In fliehender Hast füllte ich die raue Oberfläche mit den schlanken Schlangenlinien der Integralzeichen. Nun war ich in meinem Element.

»Hohes Auditorium!«, hub ich schmeichlerisch an. »Zwei Fragen vermag die Mathematik des Schreckens zu beantworten. Die nach dem Warum, sowie die nach dem Wie. Wir wollen uns vorerst an Rippers Statt versetzen, um der Ersten nachzugehen.«

Das Knirschen der Kreide, die zwei meiner Formeln dem bedrohlich scheinenden Karree der Tafel einschrieb, ließ mich schaudern. Meine Nackenhaare stellten sich auf; mit verschnürter Kehle ließ ich die rudimentären Gleichungen auf meine vermummte Hörerschaft einwirken.

»Hierin ist all unser Handeln eingefangen.« gab ich zu. »Die Nacht, sie ist unser Revier, die Zeit – ein treuloser Verbündeter. Und führet uns auch des Schlächters Energie s(t) Stich um Stich unserem Ziele – was immer es auch sein mag – entgegen, die Wahrscheinlichkeit p(t), zum Zeitpunkt t noch ungestört jenem mörderischen Handwerk nachzugehen, ist um ein Vielfaches im Schwinden begriffen.«

Der blanke Ausdruck der Unverständigkeit spiegelte sich in den Augen der Sektierer. Ich sah mich wohl oder übel genötigt, ein Schäuflein nachzulegen und schrieb den Differentialausdruck um: -p˙(t)/p(t) = hs(t).

»Vergleicht man nunmehr die linke mit der rechten Seite,« stellte ich fest, »so kann des Rippers Risiko, zum Zeitpunkt t erstmals aufzufliegen, dem h-fachen Wert seiner gegenwärtigen Schlitzintensität gleichgesetzt werden.«

Der Großmeister sah mich merkwürdig an. »Und der Erhabene Plan?« räusperte er sich mit wachsender Ungeduld.

Ich schüttelte den Kopf und erwiderte in Abwandlung der unsterblichen Worte, die Euclid an Ptolaemeus Soter (oder war es etwa Menaechmus an Alexander den Großen?) richtete: »Es gibt keinen Königsweg zur Mathematik des Schreckens!«


 

  –  aus dem Seitensprung der Schaurigen Mathematik  

 



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