Keine Faustregel für Mephisto


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    Mephisto auf der Suche nach einer Faustregel


Was auch immer der wissenschaftlichen Faust-Literatur nachgesagt werden mag, sie hat zahlreichen Generationen eifrig bemühter Forscher Brot und Spiele gegeben. Aus dem Füllhorn relevanter Beiträge ragt vor allem eine ungewöhnliche Arbeit hervor. Es ist dies der in Rev. Spagh. Occid. erschienene epochemachende Beitrag Hill & Spencer (1976), von dem uns jedoch bedauerlicherweise nur der kryptische Titel  ›Vier Fäuste für ein Halleluja‹  erhalten geblieben ist.

Was wollen uns die beiden italienischen Germanisten hiermit offenbaren? Haben wir es mit einer typographischen Entgleisung zu tun? Vier Hallelujas für Faust würde ja an sich weitaus vernünftiger klingen. Nein, nichts von alledem. Hill & Spencer scheinen einen durchaus pragmatischen Ansatz im Sinne gehabt zu haben.

Wer sind nun tatsächlich diese ominösen vier Fäuste? Sind es gar, wie es der ostfriesische (an der Water-)Kant Otto Waalkes so treffend ausgedrückt hat, vier alle? Die historische Faustforschung liefert uns nur zwei kümmerliche Namen: Georg Faustus von Helmstadt und Johann Faustus von Knittlingen.

Beim dritten Faust kann es sich wohl laut W. Escepol, T. Skanes & G. Gineua nur um Jan Henryk Pan Twardowski von Krakow handeln. Die Suche nach einem vierten Faust bringt uns jedoch in beträchtliche Schwierigkeiten. Rätsel über Rätsel und uns steht leider kein treuer Eckermann zur Seite, um sie zu klären.

Das Halleluja hingegen scheint absolut keine Fragen aufzuwerfen. Es bezieht sich in umkehrbar eindeutiger Weise auf die Rettung Faustens gegen Schluss der Goethe’schen Tragödienfassung, wohl die größte Plausibilitätshürde der deutschsprachigen Literaturwissenschaft.

Sämtliche Versuche diesen logischen Sprung in der dramatischen Spielführung durch Argumente moraltheologischer, sophistischer, ja sogar (horribile dictu) formaljuridischer Provenienz zu beseitigen, waren schon von vornherein zum Scheitern verurteilt.


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Den verzweifelnden Liebhabern Goethes kann jedoch neuerdings geholfen werden. Die Lösbarkeit des anstehenden Rationalitätsproblems ist nämlich eine rein mathematische Frage, ja noch vielmehr eine Angelegenheit des Operations Research. Muss nicht ein magus secundus vom Schlage eines Faust die geheimen Mysterien der Zahlen zur Gänze erfasst und über höhere Kenntnisse in Euklid’scher Geometrie verfügt haben, um Höllenzwang, Pentagramm und magischen Kreis ohne Gefährdung der eigenen Person applizieren zu können? Und ist etwa die Spieltheorie kein Werk der Hölle?

 

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(aus der mathematischen Interpretation der Teufelswette)

Obwohl Faust der Verführung weitaus mehr abgewinnen kann, besteht seine Gleichgewichtsstrategie im Überbereuen. Dieses paradox scheinende Verhalten kann wie folgt erklärt werden. Verführt Mephisto in der Nähe des instabilen Knotens, so hat dies einen negativen Einfluss auf Faustens Nutzenterme; Faust bezieht also in Wirklichkeit keinen Nutzen aus dem, was ihm der Teufel bietet.

So dient Mephisto unserem Doktor, sage und schreibe, zweimal das schönste Weib der griechischen Antike an, obwohl diesem bereits ein einfaches deutsches Mädchen genügen würde. Da der Disnutzen aus der übertriebenen Verführung überdies (mindestens) doppelt so stark in’s Gewicht fällt, hat Faust selbst ein großes Interesse, die Wette durch Überbereuen abzukürzen.

Der Teufelskreis schliesst sich nunmehr. Da Mephisto durch Faustens Reue so sehr gestört wird, muss er auf ein baldiges Ende der Wette drängen. Er verführt deshalb auf Teufel komm raus und senkt seine Machinationen nur dann ab, wenn der Seelenwert v für ihn nicht verlockend genug ist. 

Für einen hohen Seelenwert zeigt der Handlungsfaden gnadenlos an, dass Mephisto seine Verführung bis zum bitteren Ende steigert; Fausts Reuetaumel wird schlussendlich durch einen Hauch von Größenwahn gemildert:

Es kann die Spur von meinen Erdentagen

Nicht in Äonen untergehen.

Faust 2, v, Zeilen 11583-11584.

Die Wette ist entschieden. Aber um welchen Preis und vor allem zu wessen Gunsten? Weder Faust noch Teufel haben ihre ursprünglichen Erwartungen erfüllt. Faust spricht die magischen Worte (jedoch nur im Konjunktiv) aus:

Zum Augenblicke dürft'  ich sagen:

Verweile doch, du bist so schön!

Faust 2, v, Zeilen 11581-11582.

Auf Grund dieser grammatikalischen Besonderheit ist es daher zweifelhaft, ob er tatsächlich den höchsten Augenblick und nicht vielmehr den erlösenden Schluss der Wette im Sinn hatte. Mephisto erkennt, dass seine Sicht des Spiels falsch war und es ihm nicht gelungen ist, Faust durch Genuss zu verführen:

Ihn sättigt keine Lust, ihm g'nügt kein Glück

Faust 2, v, Zeile 11587.

Die Wette, die nach formalen Richtlinien einlösbar schien, ist vor dem höheren Forum einer qualitativen Bewertung des Spielverlaufes verloren.

                                                         

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Doch welches Bedeutungsgeflecht kann letztlich der Mensch unserer Tage aus dem Faustmythos gewinnen? Das urprünglich in den Litzelstetter Libellen (die satirisch-wissenschaftliche Reihe des Ekkehard Faude Verlages) erschienene Bändchen ›De salvatione Fausti‹, dem beinahe eine doppelte Dekade im grellen jedoch undankbaren Licht der Druckerschwärze beschieden war, schaffte es sogar Faust einer modernen lateinamerikanischen Rezeption zugänglich zu machen, die wir unseren geneigten Lesern nicht vorenthalten wollen:

Es lebte einst in Ipanema ein junger Mann, der seine Seele dem Teufel verschrieb. Als Gegenleistung wollte er nur eines: unter dem Künstlernamen Dr. Faustinho Mittelstürmer der brasilianischen Fußballauswahl werden. Nach dem siegreichen Weltmeisterschaftsspiel gegen die Deutschen, die unter ihrem Trainer Hans Wolf Goethe angetreten waren, verlangte der Teufel vergeblich seinen Preis. Die einzige logische Erklärung für Faustinhos Rettung ist die unbestreitbare Tatsache, dass er perfekt Samba tanzen konnte und der Teufel ein Argentinier ist.

 

   aus dem Seitensprung der Schelmischen Mathematik  


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