Alexander Mehlmann
kam auf der anderen Seite des Borgopasses, dem wohl (nach Bram Stoker) gottlosesten Tummelplatz für Vampire, Wölfe und Fledermäuse, ungefähr ‚dort wo das finst’re Czernowitz an Lodomerien grenzt‘ (Peter Hammerschlag), somit tief im Herzen des von Gregor von Rezzori so meisterlich besungenen Maghrebinien, zur Welt.
Für die Atlanten der politischen Wirklichkeit, die gemeinhin jeglichem literarischen Erbe gleichgültig gegenüberstehen, war sein Geburtsort - die ehemalige Kreisstadt Kimpolung des k.u.k Kronlandes Bukowina - nunmehr unter dem Namen Campulung Moldovenesc ein Luftkurort in den rumänischen Nordost-Karpathen, Einstiegspforte in die wilde Karstlandschaft des Rarau-Massivs und gleichzeitig Ausgangspunkt touristischer Expeditionen in die mittelalterliche Welt der Moldauklöster. Das Vielvölkergemisch des untergegangenen Kakanien hatte die Wirren der Zeiten in der durchgebeutelten Nußschale des Buchenlandes überstanden. Rumänisch war die unbestrittene lingua franca in den Spielen seiner Kindheit und der Zauber der Volksmärchen und Balladen hielt ihn im kräftigen Strom dieser stolzen romanischen Sprache gefangen. Das so viel behäbigere und strengere Deutsch verband er als Heranwachsender allein mit dem Namen Goethes, der vom Olymp der Großschreibung die unsäglichen Versuche, gegen das Verlernen der Muttersprache anzukämpfen, unnahbar, jedoch gnädig, überwachte.
Als es der Familie gelang, die jahrelang erfolglos versuchte Ausreise nach Österreich zu erreichen, bedeutete dies für den Dreizehnjährigen einen vorübergehenden und schmerzlich empfundenen Verlust versierter Ausdrucksformen. Er empfand dies durchaus als Schmach; es sollte eine beträchtliche Weile dauern, bis das Vermögen mit der Sprache umzugehen, die altgewohnten Zinsen eintrug. Hinter der sicheren Rüstung der Mathematik waren inzwischen die ersten Früchte des schulischen Erfolges eingebracht worden. In der Arena des Gymnasiums an der Stubenbastei reifte er im Wechselbad des Erziehungssystems bis zur Matura heran.
Das Studium der Technischen Mathematik an der ehemals k.k. Polytechnischen Lehranstalt verlief in den vermutlich althergebrachten Bahnen. Als Zauberlehrling beschwor er die magischen Sprüche der Analysis, bezeichnete die geometrischen Diagramme und nippte an den berauschenden Elixieren der universellen Algebra. Doch selbst im nüchternsten Wortschatz und der prosaischsten Grammatik des Erbsenzählers verspürte er den längst verloren geglaubten Hauch pythagoräischer Poetik. Gegen Ende seiner Lehrjahre fand er den provisorischen Passierschein ins Niemandsland zwischen Mathematik und Literatur. Mit einem Vortrag zur spieltheoretischen Interpretation der Teufelswette in Goethes "Faust" erlangte er 1984 die Lehrbefugnis für das Fach Operations Research.
Sein besonderes Interesse gilt nunmehr mathematischen Methoden und Modellen zur Untersuchung literarischer Formen und Konfliktsituationen. Die Bandbreite seiner ganzjährig abgehaltenen Vorlesung mit Übung "Mathematik und Literatur“ reicht vom Schreiben unter mathematischen Zwängen - Oulipo, Perec, Queneau - bis zu den mathematischen Motiven in der Literatur.
Im Rahmen des im Wiener Museumsquartier angesiedelten kulturellen Projektes math.space betreute er laufend Veranstaltungen literarisch-mathematischen Zuschnitts.
Wir kommen alle von Homer. Mehr oder weniger. Nur manche Nobelpreisträger kommen zusätzlich auch noch von Tolstoi und Cervantes. (Welch löbliche Entlastung Dantes!)
Der verspielte Homer - eine schmale jedoch unglaublich gehaltvolle Sammlung von Mythen für Amateure - vermittelt einen durchaus versierten Einstieg in die archaische Welt der Fabelwesen und Heroen unter Berücksichtigung sorgsam verlegter anachronistischer Einlagen.
So skurril und vergnüglich sind die Sagen des klassischen Altertums wohl noch nie erzählt worden. Von Ariadnes Faden, dem Scheidungsfall Medea, den amourösen Eskapaden des Göttervaters bis zu den zweifelhaften Geschenken der Griechen und den misslungenen Sirenengesängen wird der geneigte Leser dazu angehalten, sich so manchen Reim darauf zu machen.
Um vier erstaunliche und reichhaltige Themenkreise bereichert, beweisen die Mathematische(n) Moritaten, dass selbst im strengen Garten der Mathematik die stacheligen Pflanzen der grotesken Lyrik gedeihen können. Im einleitenden Kapitel wird den Galionsfiguren der Mathematikgeschichte Podest und Reim eingeräumt. In der Folge werden mathematische (und andere) Mythen durch den Kakao apokrypher Parabeln gezogen.
Eine Sammlung eigentümlicher Anagrammgedichte beschreibt danach die Mysterien der Mathematik, die verborgene Bedeutung politischer Schlagworte, sowie das seltsame Ambiente des Elfenbeinturms. Im vierten Kapitel erweitern Pamphlete und Poeme eine bereits vergriffene Auswahl seltsamer Verse. Das letzte Kapitel enthält Originale und Übersetzungen mathematischer Gedichte.
The book "Mathematische Seitensprünge" (Mathematical Escapades) offers an appealing, playful and light-hearted excursion to the wonderland between mathematics and literature. Readers are guided from the geometry of hell (Dantes La Divina Commedia), by way of a mathematical "tongue-in-cheek" route to the legend of Faust, as well as to some mathematical facets of Greek mythology. Apocryphal stories, short and long poems and mathematical thoughts generate an intriguing look at literature through the lens of mathematics, bringing the mathematics into poetical focus at the same time.
"Wer Vorkenntnisse aus Mathematik mitbringt, ein wenig Polyhistor ist und Freude an Literatur hat, dem kann das Lesen dieses Buches Freude bringen.."
- FRITZ SCHWIEIGER IMN Internationale Mathematische Nachrichten, 209/2008
Weitere Buchveröffentlichungen
Herkunftsnachweis der Titelleistenabbildung: Carl Spitzweg (1808-1887), Der arme Poet, Neue Pinakothek, Saal 10a, Inventarnummer 7751. Die originalgetreue fotographische Reproduktion wurde vom Wikimedia Commons User: Cybershot800i als gemeinfrei zur Verfügung gestellt. Das Originalkunstwerk ist wegen Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist ebenfalls als gemeinfrei anzusehen